Bäume sind Lebewesen wie alle Pflanzen. Sie werden durch Botenstoffe (Phytohormone) gesteuert, die u.a. das Wachstum kontrollieren und die Reaktion auf äußere Einflüsse wie Ernährung, Wetter und Verletzungen (oder Schnitt) bestimmen. Gezüchtete Obstbäume reagieren jedoch anders als wild wachsende Laubbäume. Sie werden bereits seit der Römerzeit selektiert und zwar u.a. nach Fruchtgröße, Geschmack, Lagerfähigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten. Infolge dessen sind sie hoch spezialisiert. Obstbäume sind Fremdbefruchter, d.h. sie brauchen mindestens einen zweiten Baum derselben Art, um Früchte anzusetzen. Eine zusätzliche Bestäubung der Blüten durch Bienen und Hummeln erhöht die Erträge nachweislich um ca. das 4-fache. Weil Obstbäume Fremdbefruchter sind, wächst aus jedem Samen immer eine neue Sorte mit unbekannten Eigenschaften. Dies ist bei der Zucht aber nicht erwünscht. Um die Eigenschaften des elterlichen Baumes zu erhalten, müssen sie veredelt werden.
Veredelung: Die Baumschulen vertreiben vorgezogene Jungbäume in drei verschiedenen Wuchsformen: Hochstämme (Beginn der Krone in 180 – 220 cm Höhe) , Halbstämme (Kronenbeginn zwischen 100 und 160 cm Höhe) und Niederstämme (50 – 80 cm). Alle sind beim Verkauf bereits veredelt. Dazu wurde ein sortentypisches Edelreis auf einen jungen Stamm (Unterlage) eines artverwandten Baumes gesetzt (okuliert). Die Unterlage bestimmt die Wuchshöhe des Baumes (z.B. Hochstamm), das aufgesetzte Reis die Fruchtsorte (z.B. Elstar). Hoch- und Halbstämme sind aufgrund ihrer respektablen Größe für Streuobstwiesen und große Obstgärten geeignet, Niederstämme für kleine Privatgärten und den Erwerbsobstbau. Die unten beschriebene Schnitttechnik (Öschbergschnitt) ist nur für Hoch- und Halbstämme geeignet. Niederstämme, die als schlanke Spindel oder Spalier gezogen werden, erfordern einen speziellen Schnitt (siehe unten).
Pflanzung: An der vorgesehenen Stelle heben wir ein Pflanzloch aus, das ca. eineinhalb mal so breit und tief ist wie der Wurzelballen (siehe Abb. 1). Die ausgehobene Erde vermischen wir mit einem halben Eimer Kompost. Um den Baum gegen Winddruck zu stabilisieren, schlagen wir einen Pfahl ein, und zwar in der Hauptwindrichtung. Er soll eng beim Stamm stehen und unterhalb der Krone enden. Dann schneiden wir die dicksten Wurzeln frisch an. Wenn erforderlich ummanteln wir sie auch mit einem Drahtgeflecht gegen Wühlmausfraß. Der Baum wird dann so tief in die Grube gesetzt, dass sich die Veredelungsstelle ca. 20 cm über Bodenniveau befindet. Anschließend wird die mit Kompost vermischte Erde eingefüllt, festgetreten und gut gewässert (mind. 20 l). Wir binden nun noch den Stamm mit einem Kokosseil in einer Achterschleife an den Pfahl und wickeln das Seil um die Kreuzungsstelle (siehe Bild 2). Zuletzt bedecken wir die Baumscheibe mit Mulch.
Schnitt von Halb- und Hochstämmen: Obstbäume müssen regelmäßig geschnitten werden, um ihre sortentypischen Eigenschaften zu erhalten. Regelmäßig heißt, bei Hoch-und Halbstämmen mindestens alle drei Jahre, und zwar traditionell von Dezember bis Ende März. Unterbleiben diese Maßnahmen, verbuschen und vergreisen die Baumkronen frühzeitig; Ertrag und Fruchtqualität nehmen ab. Als Schnittechnik hat sich der bereits vor mehr als 80 Jahren in der Schweiz entwickelte „Öschbergschnitt“, bewährt, weil er den natürlichen Wuchs des Baumes aufnimmt und den Aufbau einer stabilen Krone fördert. Durchführen lässt sich dieser Schnitt bei Apfel-, Birnen-, Zwetschgen- und Süßkirschbäumen.
Generell ist das Schneiden von Obstbäumen in Baden-Württemberg oft mit einer emotional geführten Debatte über Schnittfehler verbunden. Folglich trauen sich viele Baumbesitzer gar nicht, ihre Bäume zu schneiden, weil sie nicht auf ihr fehlendes Wissen angesprochen werden möchten. Dabei ist es mit wenigen Grundkenntnissen ganz einfach, einen guten Schnitt durchzuführen. Generell gilt: Schneiden ist besser als nicht schneiden, selbst wenn man Fehler macht. Unser Verein bietet jedes Jahr einen Schnittkurs an, in dem die Teilnehmer (auch Nichtmitglieder) kostenlos die hier beschriebene Theorie in die Praxis umsetzen können.
Nach dem Alter des Baumes unterscheiden wir den „Pflanzschnitt“ von einem „Erziehungsschnitt“ und einem „Erhaltungsschnitt“.
Pflanzschnitt (siehe Abb. 2): Direkt nach dem Pflanzen des Baumes wird der erste Schnitt durchgeführt. Er ist entscheidend für die spätere Wuchsform. Die zentrale Stammverlängerung nach oben wird der Mitteltrieb (M). Aus den Seitenästen wählt man 3 oder 4 Leitäste (L) aus, die stern- bzw. kreuzförmig von der Mitte abgehen (siehe Abb. 2 oben, Aufsicht). Alle anderen Äste sind an der Basis zu entfernen (kurze rot markierte Äste). Die Leitäste sollen höhenmäßig verteilt in einem Winkel von 45° Grad vom Stamm abgehen (Abb. 2 unten). Wenn der Baum nicht über Äste mit idealem Abgangswinkel verfügt, muss man zu Hilfmitteln greifen, um dies zu korrigieren. Ist der Ast zu flach, binden wir ihn mit einem Band hoch (blaue Linie), ist er zu steil, spreizen wir ihn mit einem Stab weiter ab (grüne Linie). Danach erfolgt ein Rückschnitt der Leitäste (L) um ca. ein Drittel, und zwar so, dass sich alle drei (oder vier) Triebenden auf gleicher Höhe befinden. Man nennt dies „Saftwaage“, weil es zur Folge hat, dass die Leitäste in den nächsten Jahren ähnlich lang austreiben. Zuletzt wird noch der Mitteltrieb (M) auf ca. 20 cm oberhalb der Leitastenden gekürzt. Damit ist der Grundstein für eine tragfähige Krone gelegt.
Erziehungsschnitt: Der Schnitt in den nächsten 10 Jahren dient weiter dem Aufbau einer stabilen Krone. Senkrecht (S) oder nach innen (J) wachsende junge Triebe entfernen wir als erstes. Gleiches gilt für Triebe, die direkt übereinander in dieselbe Richtung wachsen und so miteinander konkurrieren. Außerdem sind lange Seitenäste des Mitteltriebs (E) an der Basis abzuschneiden, um die Lichtverhältnisse in der Krone zu verbessern. Dann achten wir darauf, dass das Höhenverhältnis der Leitäste (L) zueinander und zum Mitteltrieb (M) in etwa wie nach dem Pflanzschnitt bleibt. Ideal ist, wenn die Krone eine Pyramidenform bildet. Von den Leitästen nach außen abgehende Äste (Garnierung) sind Fruchtäste und dürfen nicht gekürzt werden. Auch das Abschneiden von Triebenden ist beim Erziehungsschnitt ungünstig, weil dort meist mehrere neue Äste austreiben und einen Quirl bilden.
Erhaltungsschnitt: Nach rund 10 Jahren ist der Kronenaufbau abgeschlossen. Der Pflegeschnitt erfolgt weiter wie beim Erziehungschnitt beschrieben. Hinzu kommt, dass Fruchtäste, die zu lang werden und sich zu stark nach unten neigen, auf einen nach oben abgehenden Neutrieb zu kürzen sind. Zuletzt ist noch folgendes zu erwähnen: Je stärker ein gesunder Baum geschnitten wird, desto kräftiger wird er im Folgejahr austreiben. Bei älteren Bäumen kann solch eine Revitalisierung durchaus erwünscht sein.
Sommerschnitt: Senkrechte, nach innen wachsende oder konkurrierende Jungtriebe können wir auch im Sommer schneiden. Wenn dies möglich ist, reißen wir sie im Juli an der Basis aus. Dies hat den Vorteil, dass sich direkt neben dem Ansatz keine neuen Triebknospen mehr bilden. Durch den Sommerschnitt wird der Baum etwas in seinem Wuchs gebremst und die Früchte sind besser besonnt.
Auch Steinobstbäume wie Kirschen, Zwetschgen oder Mirabellen können im Sommer geschnitten werden. Die Wunden heilen dann bis zum Winter ab. Wenn dies bei der Ernte geschieht, lassen sich die Früchte einfacher pflücken, denn die Triebe werden dann gleich mit abgeschnitten. Ein Schnitt im Winter erübrigt sich in diesm Fall.
Schnitt von Spindelbäumen: Für diese Schnitttechnik sind nur Niederstämme geeignet, deren Krone ca. 60 cm über der Wurzel beginnt und die mit einer schwachwüchsigen Unterlage veredelt sind. Spindelbäume eignen sich besonders für kleine Privatgärten und für den Erwerbsobstbau, und zwar aus folgenden Gründen: Sie erwirtschaften im Verhältnis zur geringen Fläche einen recht hohen Ertrag. Die erste Ernte beginnt bereits im 2. – 3. Jahr nach der Pflanzung . Außerdem lassen sich die Früchte bequem ohne Leiter ernten, weil die Bäume so geschnitten werden, dass sie nur eine Höhe von ca. 2,50 m erreichen. Nachteilig ist allerdings, dass man sie jedes Jahr schneiden muss, um einen guten Ertrag zu gewährleisten. Auch altern die Bäume früher und brauchen bis zu ihrem Lebensende Stützpfähle. Der grundsätzliche Unterschied zum Schnitt von Hoch- und Halbstämmen besteht darin, dass wir auf die Erziehung von Leitästen verzichten. Stattdessen sollen die Fruchttriebe direkt vom Mitteltrieb abzweigen. Idealerweise sind sie wie bei einer Tanne rings um die Mitte angeordnet.
Pflanzschnitt: Bereits der erste Schnitt ist anders als oben bei den Hochstämmen beschrieben (siehe Abb. 4). Triebe, die unterhalb von 60 cm am Stamm entspringen, direkt übereinander in die gleiche Richtung wachsen oder so steil stehen, dass auf der Oberseite des Ansatzes die Rinde einwächst (Schlitztriebe), werden abgeschnitten (S). Das gleiche gilt für konkurrierende Äste (K) des Mitteltriebs. Alle Zweige, die stehen bleiben, werden waagerecht gebunden (blaue Linien). Der Mitteltrieb wird i. d. R. nicht angeschnitten (M).
Erziehungs- und Erhaltungsschnitt (siehe Abb. 5): In den folgenden Jahren müssen zu steil stehende (S), sich überkreuzende und nach innen wachsende Zweige abgeschnitten werden. Dadurch ist die Krone immer gut belichtet. Die Endhöhe ist meist nach dem 4. Standjahr erreicht. Wenn erforderlich, wird der Mitteltrieb (M) zugunsten des obersten Neutriebs an der Basis abgeschnitten (Neutriebrotation). Von da an ist eine Überbauung durch Äste im oberen Kronenbereich zu vermeiden (L). Ca. 6 Jahre nach der Pflanzung beginnen die ersten Fruchttriebe bereits zu altern. Dies erkennt man daran, dass sie sehr lang werden und nach unten durchhängen (H). Dann kürzen wir diese Äste direkt hinter einem aufstrebenden jungen Trieb, so dass sich daraus neues Fruchtholz bilden kann.