Obstverarbeitung – Regionale Produkte mit Zukunft
Bei den Besitzern kleiner Privatgärten liegt der Schwerpunkt der Obstverarbeitung beim Genuss von frischem eigenem Obst. Ist die Erntemenge zu groß, muss es haltbar gemacht werden, um später verzehrt werden zu können (siehe auch hier!). Dabei ist zu beachten, dass durch die Konservierung möglichst wenig Nährstoffe zerstört werden. Für die Besitzer von großen Gärten und Streuobstwiesen stellt sich dieses Problem in besonderer Form. Noch bis vor wenigen Jahrzehnten war es in unserer Gegend üblich, die Äpfel von der Wiese selbst zu keltern und den Saft zu trockenem Most zu vergären. Die dafür erforderlichen Kenntnisse wurden von Generation zu Generation weitergegeben. Weil im Norden unseres Kreises auch Wein wächst und zudem an vielen Orten Bier gebraut wird, was beides bequem und preisgünstig zu haben ist, wurde die eigene Vermostung unpopulär und die Produkte konnten sich nicht weiter entwickeln. Darunter mussten vor allem die Streuobstwiesen in den Ortsrandlagen leiden, die man zunehmend als Belastung empfand und deshalb rodete. Auch die Zersiedelung unserer Landschaft trug ihren Teil zu dieser Entwicklung bei.
Erst neue technische Verfahren haben dazu geführt, dass die Verarbeitung und Vermarktung von regionalem Obst besonders auch aus Streuobstwiesen wieder eine Zukunft hat. Zu nennen ist hier besonders die Bag-in-Box-Technik zur Herstellung von haltbarem Apfelsaft. Das Obst wird bei diesem Verfahren gewaschen, gepresst und bei 78°C schonend pasteurisiert, abgekühlt und sofort in Beutel gefüllt, die von einem Karton umgeben sind. Dadurch bleiben Inhalts- und Geschmacksstoffe weitestgehend erhalten. Allein aufgrund dieses Verfahrens wurden in unserem Kreis mehrere Mostereien gegründet. Wir haben in Wurmberg das Glück, dass eine davon in unserem Ort zu Hause ist. Wer z.B. eigene Äpfel mitbringt, kann sie in diesen Mostereien in seinem Beisein zu Süßmost verarbeiten lassen. Dies bedeutet nicht weniger, dass der Apfelsaft zu 100 % aus eigenem Obst besteht. Dasselbe gilt natürlich auch für Birnen und Quitten. Besonders gut wird der Saft, wenn er aus mehreren Apfelsorten gewonnen wird. Zudem lassen sich spannende neue Geschmacksvarianten durch das Zumischen von Birnen, Quitten oder Beeren erzielen.
Ein weiteres Verfahren, dass erst in den letzten Jahren in unserer Region eingeführt wurde, ist die Herstellung von Apfel-Secco. Hierbei wird der Süßmost gefiltert, vergoren und mit Kohlensäure versetzt. Alte Apfelsorten mit einem optimalen Säure-Süße-Verhältnis wie rheinischer Bohnapfel, Boskoop, Ontario u.a., sind dafür besonders geeignet, müssen aber bei optimaler Reife geerntet werden. Wegen seiner perligen Frische hat sich der Apfelsecco als Aperitiv zum neuen Lyfe-Style-Getränk gemausert. Sogar gesundheitsbewußte Sportler und Autofahrer lassen sich in der alkoholfreien Version damit glücklich machen.
Seit neuestem hat ein weiteres Verfahren Eingang in unsere Region gefunden, nämlich die Herstellung einer speziellen Apfelschaumweinart, die in England „Cider“ und in Frankreich „Cidre“ genannt wird. Die Gärungstechnik ist in diesem Fall ein wenig kompliziert, auch deshalb, weil jeder Produzent etwas anders vorgeht und seine Geheimnisse nicht gern preisgibt. Grob beschrieben erfolgt die Herstellung ähnlich wie beim „neuen Wein“ im Herbst, d.h. die Gärung des Mostes wird in einem Stadium gestoppt, in dem er zu moussieren beginnt. Der Zucker ist dann noch nicht vollständig zu Alkohol vergoren. Dies kommt dem Geschmack zugute, und der Alkoholgehalt ist noch gering. Die Cuve’tierung verschiedener Obstsorten oder der Zusatz von Beeren können auch hier eine große Geschmacksvielfalt erzielen und zu herausragenden Produkten führen.
Im Vergleich zu den oben beschriebenen neuen Techniken wird unseres regionales Obst seit Generationen auch zu Destillaten verarbeitet, allerdings wegen der strengen staatlichen Kontrolle nicht am heimischen Herd sondern in Lohnbrennereien. Wie oben sind auch für die Herstellung von exquisiten Obstbränden qualtitativ hochwertige Rohprodukte erforderlich. Allerdings wird der Markt in dieser Branche beherrscht von Ausgangsprodukten aus billigem Industriealkohol. Dem kann der Brenner nur etwas durch den Einsatz hochwertiger Grundprodukte entgegensetzen, denn nur dies führt zu ausgeprägten intensiven Aromen, die dem Gaumen schmeicheln.
Die Herstellung von haltbarem Obstsaft aus regionalem Obst allein wird nicht reichen, um unsere Streuobstwiesen zu erhalten. Zu günstig importiert der Handel Saftkonzentrat aus dem Ausland (vor allem China), und im Discounter wird meistens das preisgünstigste Produkt gewählt. Die Zukunft liegt wie beim Wein aus Reben auch in der Cuve’tierung. Durch die Wiederentdeckung alter Obstsorten oder auch den Zusatz von Beerenfrüchten (auch Wildbeeren) lassen sich spannende neue Geschmackserlebnisse kreieren. Im Vergleich zu den wenigen Rebsorten gibt es bei den Obstsorten ein nahezu unerschöpfliches Reservoir an Geschmacksvielfalt, ein Schatz, den es noch zu heben gilt. Jedes neue gelungene Produkt trägt dazu bei, unsere Streuobstwiesen zu erhalten. Nur wenn diese Wiesen noch existieren, können unsere Nachfahren sie auch in Zukunft noch als ein landschaftsprägendes Kulturgut wertschätzen.